Hintergrundwissen und aktuell laufende Studien PRAX-562 und PRAX-222
Klinische Studien für SCN2A-Genmutationen

Liebe Familien, 

für viele unserer Kinder reichen die derzeitigen medikamentösen Therapien nicht aus. Sie haben teilweise trotz mehrerer Antiepileptika weiterhin Krampfanfälle und zudem viele zusätzliche Symptome, die mit den bisherigen Therapien noch gar nicht behandelt werden können. Dank internationaler Elterninitiativen und intensiven Forschungen in den letzten Jahren, steht die SCN2A Community endlich vor zwei neuen Therapien, die nun in die ersten klinischen Studien starten: Zum einen ein Natriumkanalblocker, der spezifisch für Entwicklungsstörungen und epileptische Enzephalopathien entwickelt wurde, wie sie durch Mutationen in SCN2A oder SCN8A verursacht werden können und zum anderen ein neuartiger Ansatz (ASO-Therapie, die RNA basiert ist), der Hoffnung macht, dass auch Symptome über die Anfälle hinaus behandelt werden könnten.

Vielleicht habt ihr schon davon gehört oder die Begriffe PRAX-562 und PRAX-222 einmal gelesen?

Damit diese neuartigen Therapien zur Realität werden können, sind Studien notwendig. 

Was sind klinische Studien, wie entscheide ich, ob mein Kind daran teilnehmen soll, kann mein Kind überhaupt daran teilnehmen und wie weit genau ist die Entwicklung der neuen Therapien? 

All diesen Fragen sind wir nachgegangen und haben sie für euch aufbereitet. 

 

Was sind klinische Studien?

Klinische Studien sind Untersuchungen an Menschengruppen mit bestimmten Erkrankungen. Im Rahmen dieser Studien wird getestet, wie wirksam, sicher und verträglich neue Behandlungsmöglichkeiten sind. Unter Behandlungsmöglichkeit versteht man Medikamente, Impfungen, chirurgische Eingriffe, Medizinprodukte wie z.B. Stimulatoren oder Herzschrittmacher, biologische Therapien wie z.B. Antikörpergaben oder Gentherapien. Die meisten heutzutage zugänglichen Behandlungsmöglichkeiten wurden in klinischen Studien überprüft. Alle aktuell neu auf den Markt kommenden Therapien müssen in klinischen Studien getestet werden.

Bevor klinische Studien für neue Therapien beginnen können, werden diese neuen Behandlungen im Labor und an Tieren getestet. Diese Zeitspanne wird auch präklinische Studienphase genannt. 

Wichtig: Sowohl klinische als auch präklinische Studien werden erst nach Zustimmung einer Ethik-Kommission begonnen. Dieser gehören Personen aus verschiedenen Fachbereichen (Medizin, Ethik, Rechtswissenschaft, Theologen und oft auch Patientenvertreter) an, die prüfen, ob die strengen gesetzlichen Vorgaben zum Schutz der Teilnehmer eingehalten werden.

 

Wozu braucht man klinische Studien?

Klinische Studien helfen zu erfahren

  • Ob und wie eine neue Behandlungsmöglichkeit funktioniert
  • Wie sicher die Behandlung ist
  • Welche Dosis wirksam ist
  • Wie die neue Behandlung im Vergleich zur bereits etablierten aufgestellt ist

 

Was bringt mir die Teilnahme an klinischen Studien?

Vorteile:

  • Zugang zu bisher nicht zugelassenen Behandlungsmöglichkeiten mit weniger Nebenwirkungen
  • Zugang zu einer Therapie für Erkrankungen, für die es noch keine Behandlungsmöglichkeiten gibt
  • Zugang zu Unterstützungsangeboten und Gruppen
  • Zusätzliche Überwachung und Untersuchung sowie intensivere Betreuung 
  • Mithilfe zur Identifizierung wirksamer Behandlungen

Mögliche Nachteile: 

  • Manche Nebenwirkungen sind nicht vorhersehbar
  • Keine oder geringere Wirksamkeit im Vergleich zu bereits bestehenden Therapien
  • Erhalt eines Scheinmedikaments (Placebo)
  • Zusätzliche regelmäßige Termine und Dokumentationen
  • Weit entfernte Anreisen bei Teilnahme am Studienzentrum

Bei seltenen Erkrankungen kann von weniger Patienten ausgegangen werden.

 

Welche Studientypen gibt es und warum?

  • Kontrollierte Studien - Die Wirksamkeit einer Therapie ist nur durch einen Vergleich von zwei Patientengruppen gegeneinander möglich. In der Regel erhält eine Patientengruppe die neu zu untersuchende Behandlung und die Vergleichsgruppe eine sogenannte Scheinbehandlung ohne wirksame Komponente (Placebo) oder eine bereits etablierte Vergleichsbehandlung.
  • Randomisierte Studien – Per Computerprogramm werden die Studienteilnehmer zufällig den beiden Behandlungsgruppen zugeordnet.
  • Verblindete Studien – einseitig (nur der Untersucher aber nicht der Proband weiß, welcher Behandlungsgruppe letzterer angehört) oder doppelblind (weder Untersucher, noch Proband wissen welcher Gruppe letzterer angehört)
  • Bucket-Studien – Dabei wird ein Leitsymptom oder Syndrom von ursächlich unterschiedlichen, meist verwandten Erkrankungen mit der neuen Behandlungsmethode untersucht. z.B. das Lennox-Gastaut-Syndrom bei unterschiedlichen Gendefekten, die Ionenkanäle im Gehirn betreffen.

Randomisierte kontrollierte verblindete Studien sind sehr aufwendig, liefern aber dafür sehr zuverlässige Ergebnisse! Es ist daher, wenn möglich, der bevorzugte Studientyp.

 

Bin ich für eine Studie geeignet oder dazu berechtigt?

Ob ein Proband in die Studie aufgenommen wird, entscheidet sich nach vorher definierten Ein- und Ausschlusskriterien wie z.B.

  • Geschlecht, Alter, allgemeiner Gesundheitszustand, Symptome, Vor- oder Begleiterkrankungen, aktuelle Medikation

 

Wie ist der Ablauf einer klinischen Studie?

Ein Team aus Forschern, Ärzten, Krankenschwestern und anderem medizinischen Personal wie Pharmazeuten, Biomathematikern etc. ist notwendig. Dieses Team untersucht und dokumentiert den Gesundheitszustand der Probanden vor, während und nach der klinischen Studie nach einem sogenannten Studienprotokoll. Bei unerwünschten Nebenwirkungen oder Verschlechterung des Allgemeinzustands entscheidet das Team, ob die Dosis angepasst, die Gabe pausiert oder die Teilnahme beendet werden sollte.

Ein Arzt oder Ärztin klärt mündlich und schriftlich über Nutzen und Risiken auf. Es muss eine unterschriebene Einverständniserklärung vor Eintritt in die Studie vorliegen.

Die Teilnahme ist immer freiwillig und kann jederzeit ohne Angabe von Gründen abgebrochen werden. Es entstehen daraus keine Nachteile. 

Mögliche Gesundheitsschäden müssen versichert und die Versicherungsbedingungen einsehbar sein. 

 

Wie bewertet man, ob die neue Behandlung funktioniert?

Es wird untersucht, ob die neue Behandlung nachweislich eine klinische Verbesserung bringt. Dafür werden vorher zu messende Eigenschaften (auch Endpunkte oder Surrogatmarker) festgelegt. 

Einige wichtig Endpunkte sind:

  • Funktionelle Verbesserung (z.B. Anzahl der Anfälle, Fähigkeit zu Gehen oder Sprechen)
  • Überlebensdauer
  • Nebenwirkungen
  • Pharmakokinetik (wie verhält sich eine Substanz nach Aufnahme in den Körper)
  • Veränderungen von Biomarkern (bestimmte Moleküle und Prozesse im Körper) durch die Behandlung

 

Wie kann ich nach klinischen Studien suchen?

In Deutschland gibt es im Gegensatz zu anderen Ländern wie den USA keine Meldepflicht für klinische Studien. Seriös angelegte Studien findet man aber im deutschen zentralen Studienregister www.drks.de oder im internationalen Studienregister unter www.clinicaltrials.gov

 

Wo finde ich Ergebnisse klinischer Studien?

Idealerweise sollten alle, sowohl positive als auch negativer Ergebnisse, veröffentlicht werden, damit Wirksamkeiten bestimmter Behandlungsmethoden richtig eingeschätzt werden können. Da klinische Studien sehr teuer sind und häufig von Herstellern der neuen Behandlungsmethode finanziert werden, kommt es immer wieder vor, dass „unerwünschte“ Ergebnisse einfach nicht publiziert werden. Schätzungsweise ist es bei der Hälfte aller Studien der Fall. Bereits vor Beginn registrierte Studien sind bei der Veröffentlichung deutlich einfacher nachzuvollziehen. 

 

Aktuell laufende SCN2A Studien:
PRAX-562 und PRAX-222 

EMBOLD-STUDY:  PRAX-562 von Praxis Precision Medicines 

Rekrutierung für die zweite Phase läuft bereits in mehreren Zentren in den USA und europaweit im Hospital Ruber International Madrid, Spanien !!! 

Randomisierte, doppelblinde, Placebo kontrollierte Phase 2 Studie für Patienten mit SCN2A (Gain of Function (GOF) = Überfunktion = Anfallsbeginn innerhalb der ersten drei Lebensmonate) und SCN8A Mutationen mit frühkindlicher Epilepsie mit Entwicklungsverzögerung (DEE). 

Ziel:

Untersuchung der Sicherheit, Verträglichkeit, Wirksamkeit und Pharmakokinetik der Substanz PRAX-562

Substanz und Wirkungsweise:

Kleines Molekül, was im Gegensatz zu den bekannten Natriumkanalblockern (z.B. Phenytoin oder Carbamazepin) nur den krankhaften persistierenden Natriumkanalstrom beeinflusst, sodass die restlichen regelhaft funktionierenden Natriumkanäle nicht blockiert werden.

Vorteile:

  • keine Aufdosierung notwendig, da schon in geringer Dosis wirksam
  • flüssige Lösung erleichtert die orale Gabe
  • 1 x tgl. Einnahme, da lange Halbwertszeit von 2-3 Tagen
  • Placebogabe erfolgt in der Vergleichsgruppe nur für 4 von 16 Wochen, somit erhöhte Wahrscheinlichkeit die wirksame Substanz zu erhalten
  • Abschluss der Studie nach bereits 16 Wochen, danach Open-Label Erweiterung in der alle Patienten auf Wunsch das Medikament erhalten

Wichtigste Einschlusskriterien: 

  • Alter: 2-18 Jahre 
  • Genbefund
  • mindestens 8 motorische Anfälle aller Art/ Woche in den letzten vier Wochen bis zum Präscreening
  • Begleittherapie mit nur einem Natriumkanalblocker

Ablauf:

In den USA und in Europa ist eine komplette heimbasierte Teilnahme möglich! Sprich es sind keine Anreisen ins Studienzentrum (nach Madrid) notwendig, falls nicht erwünscht. Kontaktaufnahme bezüglich einer Teilnahme entsprechend der Einschlußkriterien und weitere Informationen erfolgt über das Kontaktformular zum Nurse Patient Navigator auf der offiziellen Studienwebsite:

https://emboldstudy.com/index.asp?page=562

Es erfolgt eine Rückmeldung per Mail!

 

Führende Verständigungssprachen aktuell sind Englisch und Spanisch bei direktem Kontakt mit dem spanischen Studienzentrum.

 

EMBRAVE-STUDY: PRAX-222 von Praxis Precison Medicines

Phase 1 und 2 Studie mit teilabhängigem, doppelblindem, randomisiertem placebo-kontrolliertem Studiendesign für Patienten mit SCN2A-Genmutationen, mit frühkindlicher Epilepsie und Entwicklungsverzögerung (DEE) = GoF.

Part 1 der Studie mit Rekrutierung in den USA Memphis, Tennessee ist bereits abgeschlossen.

Zur Registrierung für Part 2 der Studie, die in mehreren internationalen Zentren auch in Europa geplant ist, erfolgt die Kontaktaufnahme über das Kontaktformular über den Nurse Patient Navigator auf der offiziellen Studienwebsite.

https://embravestudy.com/index.asp?page=222

 

Ziel:

Untersuchung der Sicherheit und Verträglichkeit in Part 1 der Studie. In diesem Stadium erhalten alle Teilnehmer die wirksame Substanz. In Part 2 wird dann voraussichtlich primär die Wirksamkeit der Substanz gegenüber Placebo in unterschiedlicher Dosierung untersucht.

Substanz und Wirkungsweise:

PRAX-222 ist ein Antisense-Oligonukleotid (ASO), das das Potenzial hat, die erste krankheitsmodifizierende Behandlung für Patienten mit SCN2A-Genmutationen (Anfallsbeginn < 3 Monate = GOF), mit frühkindlicher Epilepsie und Entwicklungsverzögerung (DEE) zu sein. Es ist ein kurzes Stück einer synthetisch hergestellten speziellen Form der DNA, die eine GoF Fehlfunktion, welche durch das mutierte SCN2A-Gen verursacht wird, ausgleichen soll. Dabei lagert sich der ASO als genau passendes Gegenstück unmittelbar an die SCN2A-RNA an, wodurch die Herstellung des Genprodukts (in diesem Fall des SCN2A-Kanals) blockiert wird. Auf diesem Weg kann die Überfunktion der gesamten SCN2A-Kanäle gedrosselt werden. Bereits in präklinischen Studien (Tierversuchen) konnte gezeigt werden, dass PRAX-222 signifikant die Anfallshäufigkeit senkt, die Entwicklung normalisiert und das Überleben verbessert. Es ist aktuell das potenteste Mittel, das über die Anfallstherapie hinausgeht.

Vor- und Nachteile:

  • Erste krankheitsmodifizierende Therapiemethode
  • Substanz muss ca. alle 4-8 Wochen in Sedierung mittels einer Lumbalpunktion ins Nervenwasser gespritzt werden
  • Nachlassen der Wirksamkeit und auch möglicher Nebenwirkungen erst nach Ablauf dieser Zeit

Wichtigste Einschlusskriterien:

  • 2-18 Jahre
  • Dokumentierte genetische Testung einer SCN2A-Variante
  • Aktuelle Begleittherapie mit 2 oder weniger Natriumkanalblockern 
  • mindestens 8 motorische Anfälle aller Art/ Woche in den letzten vier Wochen bis zum Pre-Screening

Ablauf und vorläufige Ergebnisse: 

Die Studie ist in zwei Teilabschnitte gegliedert. Im ersten Part wurden 4 Patienten mit einer initialen Dosis der wirksamen Substanz über 13 Wochen behandelt.

Die ersten Studienergebnisse wurden am 02.10.2023 veröffentlicht:

Das Wichtigste in Kürze:

  • Teilnehmer: 4 Patienten im Alter zwischen 2 und 14 Jahren
  • Dosis: 1 mg verabreicht im 4-Wochen-Abstand
  • Ergebnisse: mittlere Anfallsreduktion von 44 % nach 3 von 4 geplanten Gaben
  • 35 % anfallsfreie Tage im Vergleich zum Ausgangswert von 21% 
  • Signifikante Anfallsreduktion bereits nach der ersten Dosis 
  • Keine erheblichen therapiebezogenen oder andere schwere Nebenwirkungen

Ein Baby in Deutschland erhält PRAX-222 außerhalb der Studie im Notfallzulassungsverfahren bei anhaltendem therapieresistentem Status epilepticus mit vergleichbaren Ergebnissen und deutlicher Entwicklungsverbesserung.

Diese Ergebnisse werden nun den regulatorischen Instanzen, in erster Linie der FDA und auch der EMA vorgestellt.

Anschließend soll voraussichtlich 2024 in Part 2 der Studie randomisiert, doppelblind, placebo-kontrolliert in mehreren Schritten eskalierende aufsteigende Dosen an bis zu 60 Patienten in Studienzentren auch außerhalb der USA in Europa und Südamerika verabreicht werden.

Presseartikel und Video Präsentation von Marcio Souza, CEO of Praxis Precision Medicines zu den ersten Ergebnissen.

 

Quellennachweis:

www.patienten-information.de/kurzinformationen/klinische-studien

www.igp-magazin.de/klinische-studien/

https://drks.de/search/de

https://scn2aclinicaltrials.com/

https://classic.clinicaltrials.gov

 

So viele Informationen - wir helfen euch weiter!

Wir verstehen, dass das unfassbar viele Informationen sind und dennoch offene Fragen bleiben. Wenn ihr mit uns sprechen möchtet, erfragen möchtet, ob euer Kind für die Studie geeignet ist, wie der genaue Ablauf ist oder sonstiges, dann kontaktiert uns bitte über das Kontaktformular.

In der KW 43/44 werden wir ein Zoom Meeting für interessierte SCN2A und SCN8A Familien abhalten und versuchen euch so viel Klarheit wie möglich zu geben.

Das genaue Datum erfahrt ihr hier oder über unsere privaten WhatsApp und Facebook-Gruppen. 

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